„Selbstbestimmt leben zu können, ist ein zentrales Bedürfnis für alle Menschen. Deshalb ist es ein großer Erfolg, dass die Ampel-Koalition transgeschlechtlichen Menschen endlich geschlechtliche Selbstbestimmung ermöglichen wird.
Das bisherige sogenannte Transsexuellengesetz hat viel Leid gebracht, das Bundesverfassungsgericht hat große Teile für grundgesetzwidrig erklärt. Entscheidend ist eine Frage: Ermöglichen wir es Menschen, diskriminierungsfrei rechtlich mit dem Geschlecht leben zu können, dem sie zugehörig sind. Bisher ist für eine Personenstandsänderung eine psychiatrische Zwangsbegutachtung erforderlich, die oft sehr demütigend erlebt wird. Transsexualität gilt nach der WHO erst seit 2018 nicht mehr als Krankheit. Bis dahin mussten die betreffenden Personen Schreckliches erleben – von Zwangsscheidungen bis zu Zwangssterilisationen. Doch auch heute ist das Ausmaß an Gewalt und Diskriminierung, der transgeschlechtliche und nicht binäre Menschen ausgesetzt sind, erschreckend. Trauriger Höhepunkt im letzten Jahr war die transfeindliche Attacke, bei der Malte C. in Münster totgeprügelt wurde. Dagegen muss eine demokratische Gesellschaft Flagge zeigen!
Wenn über Gewalt an Menschen gesprochen wird, steht zurecht oft Gewalt an Frauen im Fokus. Politik muss gute Gewaltschutzangebote und ausreichend Plätze in Frauenhäusern garantieren. Gewaltschutz gilt aber für alle Menschen ohne Wenn und Aber – egal welchen Geschlechts, egal ob hetero, homo, bi, trans, oder cis. Denn Gewalt sorgt für Angst und Unfreiheit. Gerade auch aus meinen Gesprächen mit jungen queeren Menschen aus der Region weiß ich, dass sie sich z.T. nicht mal trauen, in ihrer Heimatstadt auszugehen aus Angst vor Übergriffen. So setzt sich auch die Frauenhauskoordinierung e.V. als bundesweite Koordinierungsstelle der Frauenhäuser für einen diskriminierungsfreien und hürdenarmen Zugang zu Schutz vor Gewalt für alle Frauen ein. Sie verweist dabei richtigerweise auf die Istanbul-Konvention, die die Staaten explizit zum Gewaltschutz von besonders schutzbedürftigen Gruppen wie trans* und intergeschlechtlichen Frauen verpflichtet.
Mittlerweile gibt es in 12 Ländern entsprechende Gesetze. Wenn sich in einer Gesellschaft ein offeneres Klima entwickelt und bestimmte Personengruppe mehr Anerkennung erfahren, trau-en sich natürlich auch mehr Menschen, sich in ihrer Identität offen zu zeigen. Dies ist für manche Gruppierungen Anlass, hinter der zunehmenden Zahl von offen zu ihrer Geschlechts-identität stehenden Personen eine „Mode“ oder gar „Verwirrung“ von Jugendlichen zu vermuten. Wer einmal mit betroffenen jungen Menschen geredet hat, weiß, dass niemand den Weg einer Personenstandsänderung unüberlegt unternimmt. Denn auch mit einem Selbstbestimmungsgesetz ist dieser Weg kein einfacher. Aber damit machen wir ihn zumindest staatlicherseits verfassungskonform und diskriminierungsfrei.
Ich wünsche mir in der Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz mehr Verständnis und Solidarität für transgeschlechtliche Menschen insbesondere von jenen Gruppierungen, die selbst Diskriminierungserfahrung haben und – zu Recht – Gewaltschutz fordern. Gerade transgeschlechtliche Frauen sind mehrfachen Diskriminierungen und auch sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Wer in seinem*ihrem Einsatz für Antidiskriminierung und Gewaltschutz nur die vermeintlich eigene Gruppe bedenkt und dabei gleichermaßen betroffene Personen als Konkurrenz oder gar Gefahr sieht, verkennt die Wichtigkeit eines breiten Bündnisses für dieses wichtige Anliegen. Nur gemeinsam sind wir stark.“
Stephanie Aeffner MdB 09.03.2021