Rede im Bundestag zu Asylbewerberleistungsgesetz

Meine Rede im Video – anlässlich einer Plenumsdebatte am 16.11. im Bundestag über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur Weiterentwicklung des Asylbewerberleistungsgesetzes.

Video Parlamentsfernsehen Deutscher Bundestag

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen! Sehr geehrte Kolleginnen von der CDU/CSU, Sie fordern in Ihrem Gesetzentwurf eine Verdoppelung der Dauer des Grundleistungsbezugs nach dem Asylbewerberleistungsgesetz von bisher 18 auf 36 Monate.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Das ist richtig! Genau!)

In der Begründung schreiben Sie lapidar, die vorgesehenen Änderungen stünden „im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“.

(Detlef Seif [CDU/CSU]: Und des MPK-Beschlusses! Da waren die Grünen auch dabei!)

Ich finde, da machen Sie es sich doch ein bisschen leicht.

(Beifall bei Abgeordneten der GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir uns das Urteil aus dem Jahr 2012 angucken, dann sehen wir, dass das Bundesverfassungsgericht sagt: Der Gesetzgeber muss erstens feststellen, dass es eine klar umgrenzte Gruppe gibt, die zweitens tatsächlich einen spezifischen Minderbedarf wegen eines, drittens, kurzfristigen, nicht auf Dauer angelegten Aufenthalts hat. – Nur dann sind geringere Leistungen gerechtfertigt. Migrationspolitische Erwägungen – auch der internationale Vergleich der Leistungshöhen – können das Absenken von Leistungen unter das Existenzminimum

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Machen wir ja auch nicht!)

gerade nicht rechtfertigen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [GRÜNE]: Bundesverfassungsgericht!)

Mir ist schon klar, worauf Sie hier heute mit Ihrem Gesetzentwurf abzielen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Echt?)

Wir haben einen Beschluss der Ministerpräsidentinnenkonferenz,

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Ja! Da hat auch Ihr grüner Ministerpräsident zugestimmt! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [GRÜNE: Zuhören erst mal!)

und Sie meinen, dass Sie uns jetzt an dieser Stelle vorführen können. Allerdings entbindet uns als Parlament ein solcher Beschluss nicht von einer verfassungskonformen Gesetzgebung,

(Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])

und das sollten gerade Sie, die aktuell die Bedeutung von Bundesverfassungsgerichtsurteilen besonders hervorheben, sich vielleicht selber einmal zu Herzen nehmen.

(Beifall bei den GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Denken Sie mal an gestern! Wer hat denn einen nichtigen Nachtragshaushalt kassiert bekommen vom Bundesverfassungsgericht? Das waren doch wahrscheinlich Sie, oder?)

Es gibt aber tatsächlich noch etwas anderes, was ich nicht verstehe. Fragen Sie sich eigentlich bei all den Forderungen, die Sie tagtäglich in die Welt setzen, nicht, ob Sie den Menschen in diesem Land damit tatsächlich helfen?

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Was macht denn Ihr Bundeskanzler? Sie distanzieren sich vom Bundeskanzler, Frau Aeffner! – Detlef Seif [CDU/CSU]: Sie kürzen die Migrationsleistungen!)

Ist Integration in Ihren Augen nicht die logische Konsequenz des Asylrechtes?

Fakt eins ist doch: Es gibt keinerlei Studien, die belegen, dass es einzig und allein Pull-Faktoren wie Sozialleistungen sind, die Migrationsentscheidungen herbeiführen.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Behauptet doch kein Mensch hier!)

Im Gegenteil: Menschen kommen vor allen Dingen wegen der Rechtssicherheit, der Aussicht auf rechtsstaatliche Verfahren und der Achtung der Menschenrechte zu uns ins Land,

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Aber das wissen Sie jetzt wieder, warum sie kommen!)

sagt zum Beispiel Herbert Brücker vom IAB. Demokratie ist der Pull-Faktor. Ich hoffe, wir sind uns einig: Die wollen wir deshalb nicht abschaffen.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD)

Ebenso ist unsere Wirtschaftsleistung ein Anreiz.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Genau!)

Darüber hinaus spielen vor allen Dingen soziale Netzwerke, Familien und Bekannte die entscheidende Rolle bei der Frage, wohin Menschen ihre Flucht fortsetzen, in welches Land sie gehen wollen.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Und die Sozialleistungen! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [GRÜNE]: Das stimmt einfach nicht! Legen Sie doch mal einen Beweis vor!)

– Wir können gerne Zwischengespräche führen, aber vielleicht darf ich meine Rede fortsetzen.

Es gibt eine interessante Studie aus der Schweiz. In den Kantonen der Schweiz werden unterschiedlich hohe Sozialleistungen gezahlt,

(Zuruf des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU])

und es wurde einmal untersucht: Führt die Höhe der Sozialleistungen zu Wanderungsbewegungen zwischen den Kantonen? Überraschung: Es hat gar keinen Effekt. – Aber gut.

Sie verweisen ja auch immer wieder auf Dänemark, weil Dänemark ja so erfolgreich ist. Dort sind die Sozialleistungen hart eingeschränkt worden.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Wir verweisen vor allem auf den MPK-Beschluss, Frau Aeffner! Da steht es nämlich drin!)

Wenn man sich die Konsequenzen anschaut: Zu dem Zeitpunkt, als die Sozialleistungen gekürzt worden sind, sind die Zuzugszahlen tatsächlich marginal gesunken.

(Zuruf des Abg. Michael Schrodi [SPD])

Aber einen Punkt ignorieren Sie an dieser Stelle ganz geflissentlich, nämlich Fakt zwei: die massiv negativen Folgen, die eine Kürzung der Sozialleistungen für die Integration hat.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Oje, oje! Ich glaube, Sie haben die Lage noch nicht verstanden!)

Auch hier gibt es eine spannende Studie, die sich auf diesen Zeitraum in Dänemark bezieht und die negative Effekte für Beschäftigung und Bildungschancen vor allen Dingen für die Geflüchteten, die bereits im Land sind, feststellt. Das führt zu mehr Armut, mehr Armutskriminalität, mehr Armutsprostitution.

Wollen wir das? Wollen wir ernsthaft mehr Armut, verringerte Teilhabechancen und damit langfristig schlechtere Integrationschancen insbesondere für Kinder? 36 Monate sind drei Jahre, sind beispielsweise fast die gesamte Grundschulzeit eines Kindes. Oder ist das Motto „Erst die Menschen ausschließen, und sie später fragen, warum sie sich nicht besser integriert haben oder nicht erfolgreich in der Schule sind“?

Es gibt noch einen weiteren Punkt: die eingeschränkte Gesundheitsversorgung, die nur bei akuten Schmerzen greift. Auch dazu gibt es Untersuchungen. Wissenschaftler aus Bielefeld haben festgestellt: Das wird am Ende gar nicht günstiger, sondern sogar viel teurer.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Wollen Sie jetzt die Verlängerung der Asylbewerberleistungen auf 36 Monate oder nicht, Frau Aeffner? Sie reden ja die ganze Zeit dagegen! – Gegenruf der Abg. Beate Müller-Gemmeke [GRÜNE]: Zuhören!)

Ich muss also feststellen, dass Sie sich weder mit den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen der Ausweitung von Leistungen des Asylbewerberleistungsgesetzes beschäftigt haben noch mit den Folgen für die Integration.

Wir werden uns bei unserer Gesetzgebung mit all diesen Fragen beschäftigen. Deshalb werden wir Ihren Gesetzentwurf heute in die zuständigen Ausschüsse verweisen und nicht darüber abstimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)