Video Parlamentsfernsehen Deutscher Bundestag
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher/-innen!
Ich würde gerne mit einer Geschichte anfangen, um vielleicht mal klarzumachen, was es auch für Sie alle bedeuten würde, wenn Sie auf Barrierefreiheit angewiesen wären.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie oft ich wahnsinnig genervt bin, weil ich meine politische Arbeit nicht richtig machen kann. Warum ist das so? Ganz viel unserer Arbeit hat damit zu tun, dass wir uns miteinander austauschen. Wir haben alle wahnsinnig dicht gedrängte Terminkalender. Dann denkt man: Im Plenum nachher, da gucke ich doch mal, ich muss mit X oder Y dringend reden. Da husch ich doch schnell mal an den Platz von X oder Y und fange die Person mal ab, weil wir ganz dringend was zu klären haben. – Ja, Sie alle tun das. Ich tue das nicht, weil dieses Plenum darauf nicht ausgelegt ist. Das heißt, ich bin darauf angewiesen, immer drum herum Termine zu vereinbaren. Und das ist nur ein kleines Beispiel, wie der Alltag von Menschen mit Behinderungen durch Barrieren eingeschränkt wird; denn nicht Menschen mit Behinderungen haben Beeinträchtigungen, sondern die Umwelt beeinträchtigt uns.
Das geht uns im Bereich der Mobilität so. Das geht mir auch so, wenn ich ein Restaurant suche, um mit meinem Team ein Weihnachtsessen zu gestalten. Nicht mal Informationen sind Anbieter von Produkten und Dienstleistungen verpflichtet bereitzustellen. Wir sind auf privatwirtschaftliche Initiativen oder auf Initiativen aus der Zivilgesellschaft angewiesen. So haben Menschen mit Behinderungen ehrenamtlich die Wheelmap programmiert, damit ich überhaupt rausfinden kann, wo ich denn hingehen kann. Davon, mir gleichberechtigt ein Restaurant auszusuchen, weil mein Team gerne chinesisch, deutsch oder österreichisch essen würde, davon können wir nur träumen.
Deshalb muss endlich Schluss sein mit Appellieren, mit Bewusstseinsbildung.
Genau deshalb haben wir in unserem Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Herstellung von Barrierefreiheit verpflichtend regeln.
Natürlich braucht es dazu Übergangsfristen. Aber ich bin schon ein bisschen erstaunt, dass in Ihrem Antrag von einer Verpflichtung zur Herstellung von Barrierefreiheit immer noch nicht die Rede ist, Sie aber mit einer Übergangsfrist von fünf Jahren angemessene Vorkehrungen einführen wollen.
Ich will mal den Unterschied erklären: Barrierefreiheit ist, wenn jeder Mensch die Dinge auf die allgemein übliche Art und Weise, so wie alle anderen, zu jeder Zeit am gleichen Ort ohne fremde Hilfe nutzen kann. „Angemessene Vorkehrungen“ greifen genau dann, wenn das nicht gegeben ist. Dann muss ich nämlich eine Vorkehrung haben. Wenn zum Beispiel Züge am Bahnsteig nicht niveaugleich erreichbar sind, dann ist es eine angemessene Vorkehrung, dass man einen Hublift bereitstellt. Aber es ist immer nur die zweitbeste Lösung, weil es keine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht. Das hat auch die Anhörung ganz klar ergeben.
Abgesehen davon ist die Verpflichtung zu angemessenen Vorkehrungen schon heute vorhanden. Wir stellen uns diesen Aufgaben.
Heute endet der Beteiligungsprozess des Gesundheitsministeriums für ein diverses, barrierefreies und inklusives Gesundheitswesen. Es kann nicht sein, dass wir in diesem Bereich immer noch über angemessene Vorkehrungen reden, während im SGB I die Verpflichtung zur Bereitstellung von Sozialleistungen in barrierefreien Räumlichkeiten gegeben ist und im SGB V schon drinsteht, dass die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden müssen. Die sind nämlich in der Regel krankenversichert, und es gibt einen Sicherstellungsauftrag, der bisher nicht erfüllt wird. Warum zahlen wir eigentlich Krankenkassenbeiträge in voller Höhe, wenn wir nur ein Viertel der Arztpraxen tatsächlich aufsuchen können? Genau deshalb haben wir uns legislative Maßnahmen vorgenommen.
Sie schreiben, es reicht nicht, dass wir uns auf dem Status quo ausruhen, und fordern Förderprogramme. Ja, es braucht Förderung; aber es braucht auch den Mut zu ordnungspolitischen Vorgaben.
Genau den Weg gehen wir mit der Bundesinitiative Barrierefreiheit, mit dem Aktionsplan für ein diverses, inklusives und barrierefreies Gesundheitswesen.
Ich freue mich, wenn Sie das unterstützen und im Übrigen in den Ländern, da, wo Sie gestalten können, an der Umsetzung mitwirken. Schon heute kann man zum Beispiel die Mittel des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes wunderbar für Barrierefreiheit einsetzen. In meinem Bundesland, wo wir einen grünen Verkehrsminister haben, hat sich – das kann ich sagen – seitdem meine Mobilität deutlich verbessert.
Vielen Dank.