Video der Rede von Stephanie Aeffner im Bundestag
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Sehr geehrter Herr Stracke, Sie haben ja die Ergebnisse der Europawahl angesprochen. In der Tat hat bestimmt auch meine Partei über diese Ergebnisse an manchen Stellen nachzudenken. Ich hoffe aber, wir sind uns alle in diesem Raum einig, dass sich alle Demokratinnen und Demokraten an einer Stelle gemeinsam Gedanken machen müssen, und zwar über das Ergebnis der AfD, die unsere Demokratie tatsächlich massiv gefährdet.
Schauen wir doch mal die Ergebnisse aus unterschiedlichen Orten an: In Münster werden wir stärkste Kraft mit 27,2 Prozent, dicht gefolgt von der Union mit 25,3 Prozent; die AfD liegt weit abgeschlagen bei 4,8 Prozent. In Sachsen wird die AfD stärkste Kraft mit 31,8 Prozent, mit großem Abstand von 10 Prozentpunkten gefolgt von Ihnen; Dritter wird mit 12,6 Prozent das BSW, und wir landen gerade mal bei 5,9 Prozent.
Was macht den Unterschied?
MP Kretschmer warnt in Sachsen vor Koalitionen mit den Grünen, mit denen er, nebenbei gesagt, selber regiert, aber gut. Noch eine Woche vor der Europawahl behauptet er: Wenn es die Ampel nicht gäbe, dann läge die Union in Sachsen bei 40 Prozent. – Gucken wir doch mal nach! Meines Wissens regiert die Ampel seit 2021. Wer wurde 2019 bei der Europawahl stärkste Kraft in Sachsen? Die AfD. Genauso wurde bei der Bundestagswahl 2021 – da haben wir auch noch nicht regiert – die AfD stärkste Kraft in Sachsen. Vielleicht hat das nicht unbedingt etwas mit der Ampel zu tun, sondern damit, wie sich die Union positioniert.
In Münster sagt Ihr OB Lewe, er sei stolz auf die Wertegemeinschaft seiner Stadt. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin aus einem heutigen „Tagesschau“-Artikel:
„Anders als in vielen anderen Städten wurde in Münster schon in den 1990er-Jahren ein Konzept zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen entwickelt, und zwar in jedem Quartier. ‚Das hat damals einen hohen Moderationsaufwand gekostet, aber es hat auch dazu geführt, dass die Thematik eine hohe Zustimmung in der Öffentlichkeit erfahren hat.ʼ Noch heute werden Themen der Flüchtlingspolitik erst als Konzept entwickelt und dann weitgehend im Konsens von den Parteien im Stadtrat verabschiedet.“
In der einen Stadt beschäftigt sich die CDU mit tatsächlichen Lösungen, in dem anderen Land sieht die CDU das größte Problem in demokratischen Mitbewerberinnen und Mitbewerbern, von denen gehe die größte Gefahr aus.
Liebe Union, vielleicht ist es ja Konsens, dass wir alle demokratische Parteien sind, sowohl Sie als auch die Parteien der Ampelkoalition. Vielleicht können wir uns dann Fragen zuwenden, die tatsächlich sachlich zur Lösung beitragen. Meine Kollegin Annika Klose hat dargestellt, dass sich vieles in Ihrem Antrag erledigt hat. Die Grundannahme ist und bleibt aber falsch. Sie zitieren immer gerne Zahlen aus Dänemark als Beleg, was es bewirkt, wenn Sozialleistungen gekürzt wurden. Die Geflüchtetenzahlen sind marginal nach unten gegangen.
Was hat aber – wenn man das Follow-up in den Studien anguckt – Dänemark bewirkt? Eine niedrigere Arbeitsbeteiligung, einen Ausschluss vom Arbeitsmarkt vor allen Dingen für Frauen durch massiv gekürzte Sozialleistungen.
In der Schweiz gibt es in unterschiedlichen Kantonen unterschiedlich hohe Sozialleistungen. Laut einer Studie kann man Wanderungsbewegungen in der Schweiz überhaupt nicht feststellen.
In der Schweiz gibt es überhaupt keine Wanderungsbewegungen, Herr Stracke, obwohl ein Umzug total simpel wäre und es unterschiedliche Leistungen gibt.
Die Krönung Ihres Antrags ist aber, dass Sie vergessen, was unser Grundgesetz so nebenbei noch festschreibt. Wir haben gerade „75 Jahre Grundgesetz“ gefeiert.
Artikel 1 – „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – gehört genauso zur Ewigkeitsgarantie wie Artikel 20, den Sie mal eben ändern wollen, weil Sie meinen, wenn Sie das Existenzminimum für Geflüchtete absenken können, dann wäre den Menschen in diesem Land und ihren Problemen tatsächlich geholfen.
Ja, die Menschen in diesem Land haben Sorgen. Lassen Sie uns darauf gemeinsam gucken! Der Umgang mit Geflüchteten rückt immer wie ein Brennglas die Probleme, die die Menschen haben, in den Blick, zum Beispiel die Frage nach der Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum. Was tun wir denn hinsichtlich der Frage, wie Mietpreise begrenzt werden? In der letzten Wahlperiode gab es darüber eine ewige Auseinandersetzung mit Ihnen.
Wir haben gerade die Wiedereinführung der Wohngemeinnützigkeit im Kabinett beschlossen, um dauerhaft für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen. Sie schießen natürlich dagegen.
Ich würde sagen, allen in diesem Land wäre geholfen, wenn wir mehr Münster und weniger Sachsen wagen.
Vielen Dank.