Rede zum Bürgergeldgesetz

Zum Anhören als Video oder nachfolgend der Redetext:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Ich möchte in der Debatte gern zu den Menschen zurückkehren, um die es hier geht: die arbeitslosen Menschen in diesem Land, aber auch all die Menschen, die heute Arbeit haben und denen es genauso passieren kann, ihre Arbeit zu verlieren.

Als Hartz IV eingeführt wurde, war ich in den Endzügen meines Studiums der sozialen Arbeit. Ich habe mich auch für den Weg in die Berufspolitik entschieden, weil ich in der Beratung immer wieder Situationen erlebt habe, wo ich mit der bestehenden Rechtslage Menschen nicht helfen konnte. Umso mehr freue ich mich, dass wir mit der Einbringung des Bürgergeldgesetzes eine der größten sozialpolitischen Reformen seit 20 Jahren auf den Weg bringen.

Wir sind mit dem Versprechen angetreten, Hartz IV zu überwinden. Und ich finde, wir sind auf einem guten Weg dahin. Wir läuten eine neue Zeit ein, wir schaffen die Voraussetzung für eine Kommunikation auf Augenhöhe in den Jobcentern und sorgen für ein Ende der Stigmatisierung von bedürftigen Menschen. Wir geben Menschen wieder mehr Vertrauen in unseren Sozialstaat. In der zweijährigen Karenzzeit werden die Kosten für Wohnung und Unterkunft in tatsächlicher Höhe übernommen. Deutlich mehr Erspartes darf behalten werden. Damit nehmen wir den Menschen in dieser ohnehin schwierigen Situation die Angst, nicht nur ihren Job, sondern auch noch ihr Zuhause und ihre kompletten Rücklagen zu verlieren. Sie können sich dadurch auf eine Weiterbildung oder die Suche nach einer neuen Arbeit konzentrieren. Und die Jobcenter entlasten wir so auch. Sie können sich nämlich um Unterstützung kümmern anstatt um Verwaltung und Bürokratie.

Wir Grünen haben lange für die Abschaffung von Sanktionen gekämpft. Sie werden nun deutlich entschärft. Leistungen können maximal um 30 Prozent gekürzt werden. Härtere Sanktionen für unter 25-Jährige werden abgeschafft, und vor allem entfallen die anlasslosen Sanktionsandrohungen in jedem Schreiben. Die allermeisten Menschen – 97 Prozent – kooperieren völlig problemlos, und genau die werden damit nicht mehr mit Sanktionen bedroht. Das ist ein Gewinn; denn es ist wissenschaftlich belegt, dass Sanktionen nicht dazu führen, dass Menschen schneller eine Arbeit aufnehmen – im Gegenteil: Langfristig schaden sie einer dauerhaften Arbeitsmarktintegration. Sie sorgen nur für kurzfristige Arbeitsaufnahme. Und was hier geschieht, ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel hin zu mehr Anerkennung, Zutrauen und Befähigung.

Auch bei jungen Menschen sorgen wir für mehr Chancengerechtigkeit, indem wir die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Schüler/-innen und Studierende anheben. Damit können sie endlich selber etwas ansparen. Das sorgt für bessere Startbedingungen in das Berufsleben und Erfolgserlebnisse.

Wir machen Schluss mit der Zwangsverrentung, durch die ältere Arbeitnehmer/-innen bisher viel zu oft aus dem Berufsleben gedrängt wurden. Sie müssen nicht mehr im gesamten Rentenbezug mit den finanziellen Einbußen leben. Sie verdienen ebenso Chancen und Anerkennung. Wir alle können gerade in Zeiten des Fachkräftemangels nicht auf ihre Fähigkeiten verzichten.

Mit einem zusätzlichen Rechenschritt passen wir den Regelsatz deutlich besser an die Inflation an und erhöhen ihn stärker als bisher. Es ist kein Geheimnis, dass wir Grüne uns an dieser Stelle mehr gewünscht hätten. Dennoch haben wir eine entscheidende Verbesserung an dieser Stelle erreicht. Mich ärgert die andauernde Kritik, dass sich mit der Bürgergeldreform Arbeit nicht mehr lohnen würde. Wegen höherer Regelsätze wird niemand seinen Job aufgeben und sich in die „soziale Hängematte“ legen wollen.

Wer ehrlich in sich selber hineinhört, spürt eines ganz genau: Die Vorstellung, den eigenen Job zu verlieren, macht Angst – Angst vor Abstieg, Angst, den eigenen Kindern nichts mehr bieten zu können, Angst, nicht mehr dazuzugehören, Angst davor, Bittsteller bei Behörden zu sein. Gegen diese Angst setzen wir das Versprechen der bestmöglichen Unterstützung, um aus dieser Situation herauszukommen.

Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir mit unserer Reform die Würde der Menschen achten und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen. An manchen Punkten liegen noch Aufgaben vor uns. Beispielsweise müssen wir auch auf die Menschen im Sozialhilfebezug schauen. Niemand sucht sich eine Erwerbsminderung wegen einer Erkrankung aus. Auch diesen Menschen müssen wir die Anerkennung entgegenbringen, die sie verdienen. Ich freue mich auf die anstehenden Beratungen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)