Faktencheck zum Bürgergeld

Behauptungen über das Bürgergeld und Faktencheck von Stephanie Aeffner, MdB, Berichterstatterin für das Bürgergeld der Bundestagsfraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Behauptung 1: Arbeitslose müssen im Bürgergeld keine zumutbare Arbeit mehr annehmen.

Check: Das ist falsch.

Was ändern wir im Gesetz?

Bisher müssen Arbeitslose jederzeit eine Arbeit annehmen. Dafür müssen sie auch eine Aus- oder Weiterbildung abbrechen. Damit ist das Geld, was die Jobcenter für die Qualifizierung ausgeben, zum Fenster rausgeworfen. Langzeitarbeitslose haben zu 2/3 keinen Berufsabschluss. Deshalb werden sie auch oft wieder arbeitslos. Wir geben Qualifizierung den Vorrang, d.h. Aus- oder Weiterbildungen müssen nicht mehr abgebrochen werden. Ansonsten gilt weiterhin: Arbeitslose müssen eine angebotene Arbeit annehmen.

Behauptung 2: Es gibt keine Sanktionen mehr, wenn jemand nicht mitwirkt.

Check: Das ist falsch.

Was ändern wir im Gesetz?

Bisher wird in jedem Schreiben vom Jobcenter eine Sanktion für fehlende Mitwirkung angedroht. Obwohl bei 97% der Leistungsbeziehenden die Mitwirkung ohne Probleme funktioniert. Wir wollen Menschen nicht mehr anlasslos bedrohen. Außerdem wollen wir auch die Mitarbeitenden in den Jobcentern von dieser Bürokratie entlasten. Die Schreiben werden in Zukunft zunächst ohne Sanktionsandrohung verschickt. Erst bei denjenigen, bei denen die Mitwirkung nicht funktioniert, wird in einem zweiten Schreiben eine Sanktion „angedroht“. Sanktionen erfolgen zu 80% wegen Terminversäumnissen. Diese sind auch in Zukunft jederzeit möglich – denn es ist wichtig, dass der Kontakt zum Jobcenter gehalten wird. Darüber hinaus setzen wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2019 um, welches Sanktionen für teilweise verfassungswidrig erklärte[1]. Leistungen werden bei Pflichtverletzung maximal um 30 % gekürzt. Eine Leistungsminderung erfolgt nicht, wenn sie im konkreten Einzelfall zu einer außergewöhnlichen Härte führen würde. Das ist eine Fortführung der Weisungslage der BA, an der alle Länder mitgewirkt haben[2].

Behauptung 3: Im ersten halben Jahr wird sich nicht mehr um die Arbeitslosen gekümmert. Diese müssen nicht mitwirken. So verhindern wir, dass Arbeitslosigkeit überwunden wird.

Check: Das ist falsch.

Was ändern wir im Gesetz?

Es stimmt, dass wir eine Vertrauenszeit von einem halben Jahr einführen. Die beginnt aber erst, wenn die Bürgergeldbeziehenden mit dem Jobcenter einen Kooperationsplan abgeschlossen haben. Eine Person beantragt Bürgergeld. Dann wird sie zu Gesprächen über den Kooperationsplan eingeladen. (Wenn sie die Termine nicht wahrnimmt gilt: Terminsanktionen sind jederzeit möglich, s.o.). Im Kooperationsplan wird gemeinsam verabredet, welche Schritte zur Überwindung der Arbeitslosigkeit zu tun sind. Das können Bewerbungen sein, die die arbeitslose Person schreibt. Das können aber auch z.B. Weiterbildungsmaßnahmen sein, die das Jobcenter anbietet. Erst wenn dieser Plan vereinbart ist, beginnt die Vertrauenszeit von einem halben Jahr. In dieser Zeit sollen sich die Arbeitssuchenden v.a. darauf konzentrieren, das zu tun, was im Kooperationsplan steht. Bisher konnte das Jobcenter die Maßnahmen einseitig festlegen. Jetzt sind es Maßnahmen, die sowohl die Arbeitssuchenden als auch die Fallmanager*innen wollen. Wieso sollte eine arbeitslose Person diese Schritte denn nicht umsetzen? Denn erstens wollte sie die ja selber. Und zweitens wird nach Ablauf der Vertrauenszeit ja geschaut, ob die Vereinbarungen funktioniert haben. Wenn nicht, können sie nach Ablauf der Vertrauenszeit sehr wohl dafür Sanktionen bekommen. Und dann wird auch mindestens ein Jahr nur noch mit Sanktionsandrohungen gearbeitet. Es gibt also gar keinen Gewinn dadurch, sich in der Vertrauenszeit nicht an Vereinbarungen zu halten. Es gibt aber einen Gewinn durch die Vertrauenszeit sowohl für die 97% der Arbeitslosen, bei denen alles klappt, als auch für die Mitarbeitenden der Jobcenter: Alle können sich darauf konzentrieren, dass die Arbeitslosigkeit überwunden wird. Anstatt sich mit Verwaltung von Kontrollmechanismen zu beschäftigen. Das entlastet auch die Fallmanager*innen.

Behauptung 4: Arbeit lohnt sich nicht mehr.

Check: Das ist falsch.

Was ändern wir im Gesetz?

Der Regelsatz für Alleinstehende steigt um 53 Euro. Damit wird er zukünftig besser an die Inflation angepasst. ABER: Erstens arbeiten knapp 1 Mio. der Bürgergeldbeziehenden[3] (und 1,5 Mio. können nicht arbeiten, z.B. wegen Kindererziehung oder Pflege von Angehörigen). Zweitens werden in all diesen Rechnungen vorgelagerte Leistungen ignoriert. So wird z.B. das Kindergeld, der Kinderzuschlag oder das Wohngeld unter den Tisch fallen gelassen. Der DGB hat nachgerechnet: Arbeitet in einer 4-köpfigen Familie ein Elternteil zum Mindestlohn, hat diese Familie über 500 Euro mehr als im Bürgergeldbezug. Für Menschen, die arbeiten und trotzdem „aufstocken“ müssen, verbessern wir die Situation sogar, denn sie dürfen mehr von ihrem Einkommen behalten. Wir sind ein Sozialstaat. Deshalb müssen wir das Existenzminimum garantieren. Das sagt auch das Bundesverfassungsgericht. Das ist ein Versprechen an alle von uns: Wenn jemand durch einen Schicksalsschlag arbeitslos wird, sichern wir das Minimum ab. Und gleichzeitig müssen Menschen von Vollzeitarbeit leben können. Deshalb haben wir auch den Mindestlohn auf 12 Euro erhöht. Das hat die Union auch abgelehnt.

Behauptung 5: „Stütze für Reiche?“ hat „Die Zeit“ nach der wochenlangen Polemik der Union letzte Woche getitelt.

Check: Das ist falsch.

Was ändern wir im Gesetz:

Das durchschnittliche Vermögen pro Kopf in Deutschland beträgt  etwa 94.000 Euro. Die ersten zwei Jahre gilt im Bürgergeld ein Vermögensfreibetrag von 60.000 Euro für die erste und 30.000 Euro für jede weitere Person in der Bedarfsgemeinschaft. Es stimmt, dass eine 4-köpfige Familie so theoretisch 150.000 Euro haben kann und trotzdem Bürgergeld beziehen kann. Fakt ist aber auch: Knapp ein Drittel in unserer Gesellschaft hat keine Rücklagen für plötzliche Ausgaben[4]. Wer arbeitslos wird, braucht oft schon während des Bezuges von Arbeitslosengeld 1 seine Rücklagen auf. Warum machen wir das trotzdem? Im Wesentlichen geht es um zwei Gruppen: Die einen sind Selbständige. Die sind nicht in den gesetzlichen Sozialversicherungen abgesichert. Deshalb sorgen die fürs Alter anders vor. Die zweite Gruppe sind Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet haben. Wenn jemand Ende 50 ins Bürgergeld kommt und erst jede Rücklage aufbrauchen muss, hat er keine Chance mehr, sich fürs Alter wieder das gleiche aufzubauen, wenn er wieder einen Job hat. Das ist Anerkennung von Leistung. Für diese wenige Fälle, um die es im Endeffekt geht, wollen wir außerdem die Jobcenter nicht mit überbordender Bürokratie belasten. Das sind im Übrigen die gleichen Grenzen wie im Wohngeld, was auch eine Sozialleistung ist. Und diese Grenzen galten schon seit Beginn der Pandemie. Da hat die Union das mitbeschlossen. Jetzt wettert sie dagegen.

Behauptung 6:

„Bürgergeldbezieher können zukünftig in einer Villa wohnen.“

Check: Das ist ein extrem verzerrtes Bild, auch wenn es theoretisch möglich ist.

Was ändern wir im Gesetz?

Die ersten zwei Jahre im Bürgergeld muss niemand mehr umziehen, weil die Wohnung zu groß oder zu teuer ist. Wer seinen Job verliert, erlebt eine extrem belastende Situation. Wir wollen, dass die Menschen nicht auch noch die Wohnung verlieren. Sie sollen sich darauf konzentrieren können, wie sie wieder eine Arbeit finden. 60% der Menschen, die ihren Job verlieren, haben nach einem Jahr eine neue Arbeit. Die kommen i.d.R. also gar nicht in den Bürgergeldbezug. Weitere 20% haben nach zwei Jahren eine neue Stelle und nochmal 8% nach drei Jahren. Diese Menschen zahlen dann also alle ihre Mieten wieder selber. Das sind genau die Gruppen, die wir mit der zweijährigen Karenzzeit absichern. Eine Karenzzeit fordert im Übrigen auch die Union. Ein entsprechender Beschluss ihrer Bundestagsfraktion liegt vor. Sie will sie aber auf ein Jahr begrenzen. Damit würden 200.000 Menschen, die in der Variante der Ampel geschützt wären, ihre Wohnungen verlieren. Und das obwohl sie spätestens ein Jahr später ihre Mieten wieder alleine aus ihrem Arbeitseinkommen finanzieren.


[1] PM Bundesverfassungsgerichts vom 5.11.2019 „Sanktionen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten bei Bezug von Arbeitslosengeld II teilweise verfassungswidrig“, abrufbar unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-074.html

[2] Fachliche Weisung der BA zu SGB II §§ 31, 31a, 31b vom 2.12.2019, abrufbar unter: https://www.arbeitsagentur.de/datei/fw-sgb-ii-31-31b_ba015902.pdf

[3] Statistik der Bundesagentur für Arbeit – Aktuelle Eckwerte (s. erwerbstätige erwerbsfähige Leistungsberechtigte), abrufbar unter: https://statistik.arbeitsagentur.de/DE/Navigation/Statistiken/Fachstatistiken/Grundsicherung-fuer-Arbeitsuchende-SGBII/Aktuelle-Eckwerte-Nav.html

[4] PM Destatis vom 5.10.2022: Ein Fünftel der Bevölkerung in Deutschland hatte 2021 ein Nettoeinkommen von unter 16 300 Euro im Jahr, abrufbar unter https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2022/10/PD22_N062_63.html