Das neue Bürgergeld – wie die Union mit Fakenews die Gesellschaft spaltet

Es ist Samstag und ich sitze nach einer anstrengenden Sitzungswoche im Zug auf dem Heimweg von Berlin nach Hause in Baden-Württemberg. Am Donnerstag haben wir im Bundestag das Gesetz zum Bürgergeld beschlossen. Eigentlich würde ich mich gerne mit den Besucher*innen aus meinem Wahlkreis, die mit mir im Zug sitzen, entspannt unterhalten.

Die Woche war unterirdisch – wie schon die ganzen letzten Wochen. Ich denke, schlimmer kann es nicht kommen. Und dann sehe ich auf Instagram einen Beitrag der CDU-Fraktion aus meinem Heimatland Baden-Württemberg. „Das Bürgergeld geht in die völlig falsche Richtung. Menschen müssen keine zumutbare Arbeit mehr annehmen.“ Wie bitte?! Voller Zorn über diese neue Lüge bastle ich an einem Social-Media-Beitrag – und beschließe diesen Beitrag zu schreiben.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Natürlich ist es Aufgabe der Opposition, Regierung zu kritisieren. Und natürlich darf sie auch andere Dinge für richtig halten. Was hier passiert ist aber etwas völlig anderes. Mit einer Falschmeldung nach der anderen greift die Union das Bürgergeld an. Und leider verfängt das. Laut Politbarometer sagen 68%, mit dem Bürgergeld gebe es zu wenig Anreize einen neuen Job anzunehmen. Da ist sie also wieder die Debatte, dass Arbeitslose nur mit Druck dazu zu bewegen sind, wieder eine Arbeit anzunehmen. Wenn dem so wäre und der Druck zur Überwindung von Arbeitslosigkeit helfen würde, könnte ich zumindest im Ansatz nachempfinden, dass Menschen, die arbeiten und die Leistung damit finanzieren, es ungerecht finden, wenn andere sich einen „faulen Lenz“ machen und damit auf ihre Kosten leben.

Nur stimmt halt beides nicht: Erstens müssen Menschen auch weiterhin alles tun, um „Hilfebedürftigkeit zu überwinden“, wie es im Gesetzesjargon heißt. Und zweitens kenne ich wirklich niemanden, der gerne von Hartz IV lebt. Ich war selber langzeitarbeitslos. Und später habe ich als Sozialarbeiterin Menschen im Kontakt mit dem Jobcenter begleitet und unterstützt. Um es so deutlich zu sagen: Arbeitslosigkeit ist scheiße. Das schönste für mich und später für alle meine Klient*innen an einer neuen Stelle nach zermürbenden Jahren der Suche und der Armut war stets, nicht mehr zum Jobcenter zu müssen und wieder einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Denn Arbeit ist nicht nur Einkommen. Arbeit ist Identität und Zugehörigkeit. Ohne hat man einfach keinen Platz in dieser Gesellschaft. Im Ländle gilt das vielleicht sogar noch viel mehr. Überspitzt: „Schaffe, schaffe, Häusle bauen – oder wahlweise als unfähig oder faul gelten.“ Und genau diese Stereotypen bedient die Union! Die mit geringen Einkommen spielt sie gegen die im Bürgergeld aus.

Ich fühle mich dabei gerade wie Sisyphus: Wenn wir eine Falschbehauptung der Union widerlegt haben, sind schon wieder zwei neue aufgetaucht. Und leider ist das wie mit Gegendarstellungen in Zeitungen: Während die Lüge sich schnell verbreitet, nimmt die Richtigstellung oft nur noch eine kleine Gruppe wahr. So wird Stimmung gemacht, oft mit dem Spielen mit niederen Instinkten. Hier mit dem Neid auf Arbeitslose, die sich angeblich faul in der Hängematte liegend das Leben von der „hart arbeitenden Mitte“ finanzieren lassen. Das funktioniert leider auch, denn wenn man nur mit genügend Dreck wirft, bleibt schon etwas hängen. Nur – Demokratie kann so nicht funktionieren. Die Union spielt hier wissentlich und willentlich mit dem Feuer! Unser Sozialstaat soll Sicherheit geben und Vertrauen in Demokratie. Dieses Vertrauen in soziale Gerechtigkeit zerstört die Union mit Lügen. Und eines Tages wachen wir auf und stellen fest, dass es kein Sicherheitsversprechen mehr gibt. Weil wir allen anderen so sehr misstraut haben, dass wir jegliches Sicherheitsversprechen aus Angst vor Missbrauch durch „die anderen“ gestrichen haben. Dumm nur, wenn man dann selbst in einer Notlage auf ein Auffangnetz angewiesen ist.

Mehr zum Thema in meinem Faktencheck zu Behauptungen über das Bürgegeld.