In den vergangenen Jahren hat Deutschland viele Schutzsuchende aus Krisenregionen aufgenommen, darunter seit Beginn des russischen Angriffskriegs über eine Millionen Menschen aus der Ukraine. Uns ist bewusst, dass die Unterbringung und Versorgung von Geflüchteten die Kommunen und Städte zunehmend vor Herausforderungen stellt. Dafür brauchen wir Lösungen, die Kommunen unterstützen, Bürokratie abbauen und zur schnellen Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt beitragen.
Neben den wichtigen und notwendigen Anpassungen am SGB XII und SGB XIV wird mit den im Ausschuss für Arbeit und Soziales beschlossenen Änderungen eine signifikante Verschlechterung für geflüchtete Personen in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit herbeigeführt. Menschen, die Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen und in einer solchen Unterkunft leben, wird zukünftig weniger Geld zur Verfügung stehen, da die Regelbedarfsanteile für Nahrungsmittel und Strom abgezogen werden. Das betrifft vor allem Personen aus der Ukraine, die durch den „Rechtskreiswechsel“ direkt Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II oder XII erhalten. Ebenso betroffen sind z. B. auch anerkannte Geflüchtete, die aufgrund des Wohnraummangels keine eigene Wohnung finden und in den Unterkünften verbleiben.
Betroffen sind vor allem Menschen, die bereits an Integrationskursen oder Arbeitsmaßnahmen teilnehmen oder deren Kinder die Schule besuchen. Essensabholzeiten in den Unterkünften können aufgrund dessen oft gar nicht eingehalten werden. Die Gewährung von Sachleistungen in Form eines Lunchpakets ist kein adäquater Ersatz für eine warme Mittagsmahlzeit. Durch die nun gekürzten Leistungen haben sie noch weniger Mittel zur Verfügung, sich außerhalb der Unterkunft mit Essen zu versorgen.
In manchen Unterkünften wurden vor Ort Lösungen gefunden, die das Abrechnen der Mahlzeiten von Personen im SGB II/SGB XII-Bezug ermöglichen, während Personen aus anderen Rechtskreisen das Essen weiterhin als Sachleistung erhalten. Die Menschen können selbst entscheiden, ob sie das Essen vor Ort in Anspruch nehmen und dafür zahlen wollen.
Statt auf Lösungen vor Ort zu setzen, werden die pauschalen Kürzungen in der Praxis zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand führen. Die zuständigen Jobcenter bzw. Agenturen für Arbeit (SGB II) oder die zuständigen Träger der Sozialhilfe (SGB XII) müssen in den entsprechenden Fällen die abweichenden Regelbedarfe feststellen und Auszahlungssummen festlegen. Bei Auszug aus der Unterkunft und Verbleib im Leistungsbezug müssen die Beträge wieder angepasst werden. Zudem entsteht ein zusätzlicher Aufwand, da den Betreibern der Unterkünfte die Aufwendungen erstattet werden.
Es wird ein regulärer Abzug von sowieso schon geringen Regelsätzen vorgenommen. Die Abzüge des Anteils für Strom sind nachvollziehbar. Die komplette Streichung des Anteils für Essen ist jedoch problematisch, weil sie einen Einschnitt in die Persönlichkeitsrechte der Menschen bedeutet. Ihnen wird die Möglichkeit genommen, selbst über das ihnen bereitgestellte Geld zu verfügen und zu entscheiden, was, wo und wann sie essen.
Vor allem aber behindert die Streichung des Regelsatzanteils für Nahrungsmittel die Integration. Menschen, die Sprachkurse oder berufliche Qualifizierungsangebote besuchen oder sogar arbeiten und nur ergänzend Sozialleistungen erhalten, haben künftig keine Möglichkeit mehr, mit Kolleg*innen mittags essen zu gehen oder einen Kaffee zu trinken. Dabei sind es genau diese Kontakte, die wesentlich zu einer gelingenden Integration beitragen und das Erlernen der deutschen Sprache beschleunigen.
Das Prinzip der Sachleistungen wird bisher vor allem im Rechtskreis des Asylbewerberleistungsgesetzes angewendet. Auch hier wird die Erbringung des Essens als Sachleistung seit jeher kritisiert. Als Sachleistung erbrachtes Essen ist häufig quantitativ und qualitativ unzureichend und entspricht nicht den individuellen Ernährungsgewohnheiten und -bedarfen (keine Rücksicht auf Unverträglichkeiten etc.). Der reale Warenwert der erbrachten Sachleistungen für den »notwendigen Bedarf« an Ernährung liegt in der Regel unter dem dafür vorgesehenen Regelbedarfsanteil (vgl. Classen 2022).
Eine Regelung zu Sachleistungen im SGB II und XII bei Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit gab es zeitlich befristet zwischen 2016 und 2018. Eine Evaluation dieser Praxis wurde nicht durchgeführt.
Mit der hier beschlossenen Änderung wird nun das Prinzip der Sachleistungen für einen definierten Personenkreis unbefristet im SGB II und XII eingeführt. Diese Regelung behindert die Integration und wir sehen die Gefahr, dass diese Leistungseinschränkungen auf weitere Personengruppen ausgeweitet werden.
Gleichzeitig stehen viele wichtige und sinnvolle Regelungen in diesem Änderungsgesetz, die für ein vollständiges Inkrafttreten des SGB XIV erforderlich sind. Außerdem enthält es notwendige Korrekturen in weiteren Gesetzbüchern und Verordnungen. Darüber hinaus werden weitere positive Änderungen vorgenommen, wie die gesetzliche Verankerung eines sogenannten Eingliederungsversuchs von sechs Monaten für Erwerbsminderungsrentner*innen im SGB VI oder die Streichung der Anrechnung von Gutscheinen als Einkommen im SGB XII. Es verbessert auch die Hinzuverdienstgrenzen von Unter-25-Jährigen im SGB XII und in der Kriegsopferfürsorgeverordnung analog zum SGB II und verlängert die Möglichkeit eines Eingliederungszuschuss für über 55-jährige Erwerbslose im SGB III. Im SGB XIV werden u. a. die monatlichen Entschädigungszahlungen für minderjährige Kinder erhöht und die Unpfändbarkeit von Leistungen zum Lebensunterhalt verankert.
Da aber mit der Ergänzung zu Sachleistungen in Gemeinschaftsunterkünften ohne Selbstversorgungsmöglichkeit Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht von Geflüchteten und eine Verschlechterung ihrer Teilhabechancen verbunden sind, die ihre Integration behindern, statt sie zu befördern, können wir dem vorliegenden Gesetz nicht zustimmen und enthalten uns daher.
Berlin, 9. November 2023